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Medienarchiv der Hans-Henning Endres GmbH & Co. KG

Der „Mister Unimog“ von Berlin – Gerhard Hinrichs und seine schönsten Unimog-Anekdoten

Niemand wusste mehr Geschichten rund um den Unimog in Berlin zu erzählen als Gerhard Hinrichs, von Beginn an als Kfz-Mechaniker eng mit dem Unimog in Berlin vertraut und ihm bis Dezember 1994 beruflich tief verbunden. Diese Verbundenheit sollte auch im wohlverdienten Ruhestand fortbestehen, bis zu seinem Lebensende – am 14. August 2022 ist Gerhard Hinrichs nach einem arbeitsreichen, langen und erfüllten Leben im Alter von 93 Jahren verstorben.

Als Geselle bei der Firma Gottfried Flatow, die als Kfz-Werkstatt für die Unimog-Generalvertretung arbeitete, kam der 1929 in Mecklenburg geborene Hinrichs Anfang der 1950er-Jahre erstmals mit dem Unimog in Berührung und machte in den Folgejahren unzählige Vorführungen mit Unimog-Fahrzeugen.

Ab dem 1. Mai 1957 war er schließlich bei der Firma Hans-Henning Endres beschäftigt, ab 1958 als Meister und ab 1969 als Werkstattleiter. Selbst bis ins ferne Gaggenau war Gerhard Hinrichs als „Mister Unimog“ bekannt und überaus geschätzt.

Vor allem von den Fahrzeugvorführungen bei potenziellen Kunden, aber auch von Überführungen und Erfahrungen der Kunden mit dem Unimog handeln Gerhard Hinrichs Anekdoten. Einige von ihnen wurden von dem Cartoonisten Dirk Meissner kongenial umgesetzt und wurden erstmals während der Sonderausstellung „Der Unimog in Berlin“ im Gaggenauer Unimog-Museum gezeigt.

13.07.2013: Besuch von Christoph Lehmann in Berlin, um Gerhard Hinrichs über seine Unimog-Geschichten aus den früheren Jahren zu interviewen. Dieses Treffen führte zur Veröffentlichung der Unimog-Anekdoten mit den Cartoons von Dirk Meissner.

Im Bild (v. l. n. r.):

  • Christoph Lehmann
  • Hans-Rüdiger Endres
  • Gerhard Hinrichs – „Mister Unimog in Berlin“

Da die Anekdoten aus den 1950er- und 1960er-Jahren stammen, muss man sich Unimog der Typen 2010, 401, 411 und 406 vorstellen – und beim U 401 vor allem das in Berlin besonders verbreitete „Froschauge“, dessen Hinterachse häufig mit Zwillingsbereifung zur Erhöhung der Traktion und mit Ballastgewicht auf der Pritsche ausgestattet war.

Viel Vergnügen beim Betrachten und Lesen der neun schier unglaublichen, aber wahren Geschichten rund um den damals noch recht kleinen Alleskönner!

Kurz vorab: Gerhard Hinrichs erinnert sich an "Unimog-Rekorde"

  • Der erste Unimog-Fahrer
    Herr Giebler von der Domäne Dahlem, der 1951 den ersten Unimog in Berlin ausgeliefert bekam.

  • Die längste Überführung
    Die erste große und zeitlich längste Überführung fand im Oktober 1953 statt: Drei Unimog mit drei Anhängern fuhren von Gaggenau über Wuppertal bis nach Berlin. Dies dauerte insgesamt sechs Tage.

  • Der zeitlich längste DDR-Transit
    Die zeitlich längste DDR-Durchfahrung fand im Herbst 1954 mit zwei U 25 und einem Dreiachs-Anhänger statt. Bei Hochwasser benötigte man 26 Stunden für die Strecke Hirschberg – Berlin.

  • Die größte Überführung per Achse
    1955 fand die größte Überführung per Achse mit 24 Unimog und Anbaugeräten für die Berliner Stadtreinigung (BSR) statt.

  • Der schnellste Unimog U 25
    Im Dezember 1953 erreichte ein U 25 mit einem Anhänger gefühlte 80 Stundenkilometer bei eisglatter Autobahn bergab im Teutoburger Wald, bei herausgenommenem Gang. Rekordhalter: Gerhard Hinrichs.

  • Die teuerste Probefahrt
    Die teuerste Probefahrt verursachte ein Geselle unserer Werkstatt 1971, indem er einen U 411 auf dem Kopf stellte. Einschließlich der Mietkosten für ein Ersatzfahrzeug entstanden insgesamt Kosten in Höhe von 15.000 DM.

  • Die größte Unimog-Überführung
    Die größte Unimog-Überführung mit Fahrzeugen der Baureihe 406 führte 1970 die Firma Endres durch – mit sechs Unimog und sechs Anhängern. „Reiseleiter“ war Verkaufsleiter Werner Glück.

  • Der schmalste Unimog
    Den schmalsten Unimog hat nicht etwa die Firma Trenkle, sondern die Firma Eternit „hergestellt“: Der Unimog wurde zwischen einer Hauswand und einem Güterwagen eingeklemmt und war danach nur noch 1,20 Meter breit. Der Fahrer blieb dabei zum Glück unversehrt.

  • Die am weitesten entfernte Montage
    Der weiteste Anfahrtsweg zu einer Montage führte nach Nordafrika, genauer gesagt auf die Nilinsel Elephantine bei Assuan: An einem alten U 411 wurde ein Frontlader angebaut und der Motor instand gesetzt. Der Akteur Gerhard Hinrichs war dafür ganze zehn Tage unterwegs.

  • Die kürzeste Auslieferung
    Die kürzeste Auslieferung erfolgte 1968 zum Nachbarn der Firma Endres, der Arnold Georg AG in Berlin. Sie bekam einen U 40.

  • Die längste Auslieferung
    Die längste Auslieferung ging 1978 nach Syrien. Die dortige Außenstelle des Deutschen Archäologischen Instituts bekam einen U 600 mit Lader und Anhänger als Geschenk von der Bundesrepublik Deutschland. Das Fahrzeug wurde erst verschifft und dann von Gerhard Hinrichs per Achse von Damaskus zur Oase Palmyra gebracht.

1953: Ein Lindwurm zieht durch Berlin

Man stelle sich vor, ein Unimog zieht vier weitere im Schneckentempo quer durch Berlin – und das am helllichten Tag, im normalen Straßenverkehr! Doch genau das ist 1953 geschehen: Die Fahrt über den Ernst-Reuter-Platz via Zoologischer Garten bis hin zum Columbiadamm dauert gute eineinhalb Stunden … und niemand regte sich darüber auf!

So war das auch noch in den 1960er-Jahren. Der Grund: Damals musste jedes Fahrzeug zur Zulassung beim Kraftverkehrsamt vorgefahren werden. Und jedes einzelne davon brauchte ein rotes Kennzeichen für diese Fahrt. Da hatte man bei Endres die „Lindwurm-Idee“: an der Spitze ein zugelassener Unimog mit schwarzem Kennzeichen, als Schlusslicht einer mit roter Nummer – und dazwischen die Neulinge ohne Kennzeichen. Eine geniale Lösung! Nur wirklich schnell war dieser Zug wahrlich nicht.

 

1953: Vorführ-Unimog mit Westfalia-Ganzstahl-Fahrerhaus – das sogenannte „Froschauge“ (die Aufnahme des Fotos erfolgte gegenüber dem Betriebsgelände der Firma Hans-Henning Endres in der Berliner Str. 37 in Berlin-Reinickendorf): Drei Unimog, mit Schleppstangen mit dem vordersten Fahrzeug verbunden, waren unterwegs zur Kfz-Zulassungsstelle in Berlin-Tempelhof. Nur der erste Unimog des „Lindwurms“ war zugelassen.

27.-31.12.1953: Lehrstunde für einen Volkspolizisten

Besonders aufreibend wurde die Überführung eines Anhängers, dessen Geradeauslauf bemängelt worden war. Er musste von Berlin zurück nach Wuppertal, zum Hersteller Blumhardt, gebracht werden. Dieses Manko sollte direkt im Werk korrigiert werden, darauf hatte Chef Hans-Henning Endres bestanden. Es kam so einiges zusammen, was diese Fahrt zu einer unvergesslichen Anekdote machen sollte: tiefster Winter, der Unimog mit seinen 25 PS, dazu der gewaltige Dreiachs-Anhänger, den Hinrichs schon leer auf circa 6 bis 8 Tonnen schätzte. Das ergibt ein Leistungsgewicht, mit dem heute nicht einmal ein Schwertransport auf die Straße kommen würde.

Zunächst die Rahmenbedingungen: Das geschlossene Fahrerhaus war ein Glücksfall, denn darin war es wenigstens etwas wärmer als in den bisherigen Klappverdeckmaschinen. Der Straßenzustand mit Eis und Schnee verschärfte die Lage zusätzlich, und der junge Hinrichs verfügte noch über keinerlei „Langstreckenerfahrung“. Eine weitere Belastung bestand in der fehlenden Routine im Umgang mit dem Papierkram an der Interzonengrenze. Ein grundsätzliches Problem war, dass Hinrichs zu jenem Zeitpunkt noch nicht den Führerschein der Klasse 2 für Lkws hatte: Er hatte schlicht und einfach bisher noch keine Zeit gehabt, ihn zu machen. Gerhard Hinrichs wollte unter diesen Voraussetzungen die Überführung nicht antreten. Daraufhin ließ Hans-Henning Endres ein Schriftstück aufsetzen, welches im Ernstfall dem Polizisten oder Grenzbeamten der DDR die genauen Umstände erklären sollte. Zum Glück kam er nicht in diese Verlegenheit, dieses Papier nutzen zu müssen, sonst hätte die Unternehmung schlussendlich wohl mit einem Festsetzen von Mann und Lastzug in der DDR geendet.

Die Hinfahrt dauerte fast zwei Tage – natürlich nicht unter Einhaltung der heutigen Lenk- und Ruhezeiten: „Ankommen“ lautete die oberste Devise, schließlich war es kurz vor Silvester und Hinrichs wollte noch vor Jahresende wieder zurück in Berlin sein. Auf der Autobahn herrschte zeitweise ein Riesenchaos, es wurde kreuz und quer geparkt, die Glätte zwang zu riskanten Ausweich- und Überholmanövern, die heutzutage in einem „ARD-Brennpunkt“ ausführlich und in Farbe gezeigt werden würden.

Endlich in Wuppertal angekommen, wurde der Anhänger im Werk abgegeben. Allerdings war er am nächsten Tag nicht wie zugesagt repariert. Die Zeit drängte also, weil man Silvester zu Hause sein wollte.

Auf der Rückfahrt – nachts bei Dunkelheit und Schnee – lief eigentlich alles ganz gut, bis Hinrichs in einer langen Gefällstrecke auf Höhe des Teutoburger Walds den Gang herausnahm. Das galt damals als eine bei Berufskraftfahrern übliche Methode, um sowohl Zeit als auch Sprit zu sparen. In Anbetracht der Leistungsfähigkeit damaliger Bremssysteme war das aber umso haarsträubender, zumal bei Schneeglätte!

Der mächtige Anhänger trieb den kleinen Unimog vor sich her, sodass sich Hinrichs nicht mehr zu bremsen traute. Das ausgekuppelte Getriebe heulte wie nie zuvor. Wo die Tachonadel stand? Um das zu überprüfen, fehlte absolut die Zeit, obwohl es höchst interessant gewesen wäre, diesen sicherlich rekordverdächtigen Wert zu notieren. Die Angst saß Hinrichs fest im Nacken, denn höchstwahrscheinlich hätte ein Bremsmanöver böse geendet und der kleine grüne „Frosch“ samt Anhänger und Fahrer wäre womöglich in den ewigen Jagdgründen neben der Autobahn gelandet. Also ließ er das Gespann ausrollen. Klar, dass jetzt erst einmal eine Zigarette fällig war!

Nach dieser Aktion ging es hellwach weiter in die Nacht hinein. Als Hinrichs nach rutschiger Fahrt schließlich am innerdeutschen Grenzübergang Helmstedt/Marienborn angekommen war, stellte er das Gespann aus Platzmangel im Halteverbot ab, was prompt einen brüllenden Grenzer auf der Bildfläche erscheinen ließ. „Wo parken Sie denn, das wird teuer!“, schnauzte er ihn an. Vor Hinrichs innerem Auge lief das volle Behördenprogramm wegen des nicht vorhandenen Führerscheins 2 ab. Doch glücklicherweise kam es anders: Nur sage und schreibe 1 DM kostete dieser Strafzettel zu Hinrichs Erleichterung. Die gefürchtete Frage nach den entsprechenden Fahrzeugpapieren wurde nicht gestellt – wer sollte auch vermuten, dass jemand ein solches Gespann ohne entsprechenden Führerschein fährt.

Mittlerweile war es der 31. Dezember, trotz Zeitdruck musste eine Schlafpause eingelegt werden. Die anstrengende Fahrt und der monotone Rhythmus aufgrund der Fahrbahnfugen auf der Transitstrecke forderten ihren Tribut. Hinrichs machte es sich im engen Fahrerhaus „bequem“ – soweit das eben möglich war, wenn man bedenkt, wie wenig Platz in der Kabine des Froschauges zur Verfügung stand.

Auf dem Wald von Schalthebeln wurde ein Sack ausgebreitet, um den „Liegekomfort“ ein wenig zu erhöhen. Die Beinfreiheit wurde durch das Herunterkurbeln der Seitenscheibe erreicht. Einen Wecker zu stellen war nicht wirklich nötig, denn die zum Seitenfenster herausgestreckten Füße wurden schnell bitterlich kalt, sodass es gar nicht erst zum gewünschten Erholungsschlaf kam.

Auf der Transitstrecke überholte dann mehrfach ein „VoPo“ (Volkspolizist der DDR) auf einem Motorrad. Nach dem dritten Überholmanöver kam die gefürchtete Kelle. Hinrichs Standardfrage „Bin ich zu schnell gefahren“? war technisch bedingt ohne Gefällstrecke selten mit „Ja“ zu beantworten. Immerhin trug Hinrichs zu diesem Anlass wie üblich den grauen Arbeitskittel mit Mercedes-Stern, was ein gewisses Gegengewicht zur förmlichen Uniform des Beamten darstellte.

Dessen Besorgnis galt dem Unimog mit dem Anhänger: So ein kleines Auto kann doch wohl nicht einen derart großen Anhänger ziehen? Das war die perfekte Steilvorlage für einen ausführlichen Technikvortrag von Hinrichs. Der interessierte VoPo wurde immer neugieriger bei der Demonstration der Bremsanlage und dem gewährten Blick unter die Motorhaube. Zum Glück waren die Winker schon auf Verlängerungsstäben montiert, sodass sie zur Breite des Anhängers passten. Somit gab es keine begründete Kritik an dem ungewöhnlichen Lastzug. Als der VoPo – wahrscheinlich als einer der ersten Bürger der DDR – bestens über den Unimog und seine technischen Raffinessen informiert worden war, wünschte er eine gute Weiterfahrt und einen ebenso guten Rutsch ins neue Jahr.

Endlich stand der Beendigung der ereignisreichen Überführung nichts mehr im Wege, und Hinrichs kam nach fünf Tagen und vier Nächten gerade noch pünktlich zur Silvesterfeier zu Hause an. Den Jahreswechsel verschlief er allerdings. Im neuen Jahr sprach Hinrichs seinen Chef zum Thema Führerschein an: „Ich fahre nie wieder ohne Führerschein der Klasse 2!“, machte er deutlich. Was allerdings doch noch einmal passieren sollte …

1953: Das Foto zeigt die erste große Überführung vom Werk Gaggenau über Rüdesheim nach Wuppertal zur Firma Blumhardt und schließlich weiter nach Berlin, mit drei Unimog und drei Anhängern.

Herbst 1954: Der Fassadenkletterer

Auf einem Abrissgrundstück in Berlin-Spandau sollte Mitte der 50er-Jahre die frei stehende Mauer eines Hauses niedergerissen werden. Dem beauftragten Unternehmer stand unter anderem auch ein Unimog zur Verfügung, den er als Gebrauchtfahrzeug bei der Firma Endres erstanden hatte. Es war ebendieser Unimog, den Endres zuvor einige Zeit als Vorführfahrzeug genutzt hatte. Inzwischen hatte ihn der Abrissunternehmer Kirschmann mit Zapfwellengetriebe und Heckseilwinde ausrüsten lassen und damit schon mehrfach erfolgreich einsetzen können.

Diesmal sollte eine Hausmauer umgerissen werden, scheinbar nur eine weitere Routineaufgabe für den Unimog. Das lange Seil wurde 30 bis 40 Meter abgespult und an der Mauer befestigt, danach die Zapfwelle eingeschaltet und der Motor mit etwas erhöhter Drehzahl laufen gelassen. Das Seil spannte sich, der Unimog ruckte an und stemmte sich gegen die Zugkraft der Winde. Aber er rutschte immer weiter vor. Die Mauer jedoch blieb unerschütterlich stehen – sie hatte offenbar schon ganz andere Angriffe überstanden. Warum es niemandem gelang, den Motor abzustellen, ist unklar, offenbar war die Überraschung über die standhafte Mauer einfach zu groß, da nur vergeblich versucht wurde, die Winde direkt am Windengetriebe mit dem Hebel auszukuppeln. Dies misslang, weil das Seil und damit auch die Kupplungsklauen voll unter Spannung standen. Die Arbeit mit Seilwinden war und ist immer ein Risiko!

Schließlich kam es so weit, dass der Unimog bis an die Mauer herangezogen wurde und dass das nun fast senkrecht hängende Seil zunächst dessen Hinterachse anhob und das Fahrzeug schließlich immer höher zog. Man mag es kaum glauben, aber auch, als der Unimog schon 45 Grad „bergab“ stand, ging es munter weiter die Wand hinauf! Inzwischen war auch der rettende Zugang zum Absteller-Gestänge der Einspritzpumpe unmöglich geworden, außerdem war ja nach wie vor mit dem Einsturz der Mauer zu rechnen. Also musste man aus sicherer Entfernung gezwungenermaßen tatenlos zusehen, wie der Unimog im wahrsten Sinne des Wortes senkrecht die Wand hochging! Hier kam nun im Unglücksfall zum Tragen, dass die Unimog-Konstrukteure ein Fahrzeug für extreme Steigungen entwickelt hatten, dem auch unter diesen speziellen Umständen nicht der Sprit ausging.

Als in zehn Metern Höhe das Tauchrohr im Tank irgendwann doch nur noch Luft ansaugen konnte und die Dieselfilterbehälter endlich leergesaugt waren, fand die unfreiwillige „Zirkusnummer“ ihr Ende. Welch ein Anblick: Da hing der Unimog nun wie ein Schinken in der Räucherkammer, das Publikum war fassungslos. Als die Sache als einigermaßen statisch sicher eingeschätzt wurde, falls hiervon überhaupt die Rede sein konnte, wurde der kleine Artist mit einem großen Kran auf den festen Boden zurückgeholt. Dass diese Bergung nicht ungefährlicher war als die Steilwandartistik zuvor, versteht sich von selbst.

1954: Im Schneckentempo auf dem Kaiserdamm

Einem Abrissunternehmer sollte der Unimog schmackhaft gemacht werden, indem der Schutt einer Ruine in Berlin-Kreuzberg zur Deponie gefahren wurde. Der Unternehmer lies die zwei Anhänger randvoll beladen und hätte somit einen dienstbeflissenen Polizisten zum ehrgeizigen Einschreiten aufrufen können. Am steilsten Stück des Berliner Kaiserdammes kroch der Unimog mit mittlerer Handwagengeschwindigkeit die Straße hinauf. Jeder, der einen U 25 einmal selbst gefahren hat, weiß, wie schwierig ein Gangwechsel vom zweiten zum dritten Gang ist. Meist begnügt man sich also mit dem zweiten Gang, um das Gefährt nicht zum völligen Stillstand zu bringen.

Im Rückspiegel des Unimog tauchte auch bald ein VW-Käfer im typischen Dunkelblau der Berliner Polizei auf – der Beifahrer winkte schon hektisch mit der rot-weißen Kelle und ließ den Lastzug anhalten. Gerhard Hinrichs, im grauen Arbeitskittel mit Mercedesstern, stieg aus und erkundigte sich betont freundlich, was er denn wohl falsch gemacht habe. Den Ball flach zu halten war für ihn oberstes Gebot, denn zu jener Zeit konnte er noch nicht den längst fälligen Führerschein der Klasse 11 vorweisen. Die Arbeit war ihm einfach wichtiger als der Gang zur Fahrschule.

Die Polizei bemängelte die zu geringe Geschwindigkeit und die viel zu schwere Ladung. Hinrichs ging eifrig auf das Gespräch ein und erklärte dieses und jenes. Mit diesem Ablenkungsmanöver konnte das Vorzeigen der Papiere geschickt umgangen werden. Er hätte die Last ja wiegen wollen, erklärte Hinrichs, aber es gab nun mal keine Waage in der Nähe – und um extra durch die halbe Stadt zum Wiegen zu fahren, war nicht genug Sprit im Tank des Unimog. Dann wurden ersatzweise diverse zu bemängelnde Dinge am Lastzug amtlich festgestellt. Im Laufe der immer noch in freundlichem Ton geführten Diskussion fragte der Polizist sichtlich überfordert: „Ja watt machen wa denn nun mit Ihnen?“

Hinrichs antwortete nicht ganz uneigennützig: „Na, am besten lassen Sie mich weiterfahren!“ Völlig verdutzt kapitulierte der Ordnungshüter mit den Worten: „Mensch, hau’n Se bloß ab!“ Damit stand einer erfolgreichen Fortsetzung der Fahrzeugvorführung nichts mehr im Wege.

1954: - Unimog mit zwei Zweiachs-Anhängern der Firma Bergemann Fuhrbetrieb, Berlin Heidestraße.

1954: Der zerrissene Kittel

Das Pflügen mit dem Unimog – eine der klassischen Disziplinen eines Schleppers – wurde den Interessenten erstmals in Lübars, einem Ortsteil von Berlin-Reinickendorf, auf dem Betriebshof von Herrn Kühne vorgestellt. Außer Gerhard Hinrichs ebenfalls dabei: Hans-Henning Endres und der Vertreter Herr Prahl. Die Besonderheit bestand diesmal darin, dass der Radiosender RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) zu dieser Veranstaltung eine Reportage machte.

Voller Eifer wurde also vorgeführt, was der neuartige Schlepper alles drauf hatte. Vertreter Prahl erklärte vorab den Vorgang, als sich der Pflug noch am Boden befand. Das Kommando von Hinrichs: „Weg da, ich hebe hoch!“ ging im Geschehen völlig unter. Als der Pflug anhob, verfing er sich in Prahls Kittel und riss ihn der Länge nach auf! Außer einem Sachschaden war zum Glück nichts zu beklagen.

Leider ist nicht überliefert, ob und wie der Rundfunk das Geschehen kommentierte. Die Furchen, die mithilfe des Unimog gezogen wurden, waren recht ansehnlich, was wohl die Zuschauer überzeugte.

Herr Kühne, Herr Qualitz und andere Landwirte wurden Unimog-Besitzer, sodass in der Stadt Berlin bis in die Gegenwart hinein „Gaggenauer“ arbeiten.

 

1955: Der verlorene Anhänger

Eine klassische Nutzungsart des Unimog in Berlin war der Einsatz als Zugmaschine für Koks- und Kohlenanhänger. Bis weit in die 1970er-Jahre hinein wurden viele Industrieanlagen und Hausheizungen mit Steinkohle oder Koks zum Heizen beliefert. So kam es, dass ein Vertreter der Firma Endres einen Kokstransport für Hinrichs mit einem Unimog organisiert hatte. Für die Kohlengroßhandlung Jänichen in der Buschkrugallee im Neuköllner Ortsteil Britz sollten zwei Anhänger gezogen werden. Es handelte sich um einen elastikbereiften und einen luftbereiften Anhänger. Wie so oft war ein Beifahrer mit an Bord, Herr Orlowski, der Vater eines späteren Monteurs und Urgesteins der Werkstatt der Firma Endres.

Tief ins Gespräch vertieft, ging es unter anderem um die Lautstärke des Unimog im Fahrerhaus, an die man sich, nach Hinrichs Meinung, im Laufe der Zeit gewöhne. Nebenbei bemerkte Hinrichs, dass der Unimog mit diesen zwei Anhängern im Schlepptau recht gut zog – bis plötzlich ein VW vorbeisauste, dessen Fahrer wild gestikulierte und aufgeregt rief: „Anhalten, anhalten, Sie haben ’nen Anhänger verloren!“ Einen Anhänger verloren???

Das war natürlich auch damals ein schwerer Zwischenfall! Hinrichs drehte um und fuhr so schnell es ging zurück. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass die damalige Verkehrsdichte um ein Vielfaches geringer war als heutzutage. Es war also kein Problem, auf der Hauptstraße mit dem wendigen Unimog mal eben kurz umzudrehen. Der verlorene Anhänger stand unbeschädigt, wie eingeparkt, ganz ordentlich zwischen zwei Bäumen am Straßenrand, die Deichsel nach hinten geschwenkt. Hinrichs fiel ein riesiger Stein vom Herzen, weil der Anhänger keinen Schaden davongenommen hatte. Der lakonische Kommentar des Beifahrers lautete nur: „Ach, ditt is die olle Kriegskupplung vom Hänger, den ham wa schon öfter mal verloren!“ Zur Erklärung: Diese Rangierkupplung hatte keine Sicherung, war also nicht vergleichbar mit der Bolzenkupplung des Unimog.

Für diesen Tag war das „Glück des Tüchtigen“ aufgebraucht und die Vorführung wurde ganz vorsichtig zu Ende gebracht.

1955: Hier im Bild: Die Firma Max Telschow & Co. Kohlenhandlung, Güterbahnhof Wilmersdorf.

1956: Der Taucher

Nicht nur zu hohe oder auffällig niedrige Geschwindigkeiten brachten Gerhard Hinrichs in Bedrängnis, auch die Vorführung von Anbaugeräten am Unimog barg ungeahnte Risiken. Diesmal ging es darum, den mit einem Klaus-Lader HK 1 und Mehrschalengreifer ausgerüsteten Unimog angesehenen Fachleuten aus Landwirtschaftsbetrieben und Gärtnereien sowie Kunden und Interessenten anderer Branchen vorzuführen. Anwesend waren Hans-Henning Endres und unter anderem die Herren Preis, Lehmann und Lepkojus.

Dieser sogenannte „Polypgreifer“ war im Verhältnis zum Unimog recht schwer. Dazu kam noch, dass der Lader zu der Zeit noch keine eigene Abstützung zum Boden besaß. So kam es, wie es kommen musste: Auf einem Betriebshof in Berlin-Marienfelde sollte die Jauchegrube entleert und die Strohreste mit dem Polypgreifer umgesetzt werden. Als Hinrichs im Regen auf dem kleinen Sitz des Laders hockte und die Zuschauer erwartungsvoll unter ihren Regenschirmen standen, begann er mit der Demonstration. Jeder Handgriff und jede Bewegung des Gerätes wurden aufmerksam verfolgt. Hinrichs, durch die ersten erfolgreichen Versuche angespornt, langte ordentlich zu und der Greifer packte eine riesige Portion Mist. Der Hubraum wurde angesteuert. Der kleine Unimog neigte sich unter dem Ungetüm von Greifer fürchterlich und drohte umzukippen.

Voller Panik sprang Hinrichs vom seinem „Hochsitz“. Er wählte unglücklicherweise die falsche Seite und landete prompt in der Jauche. So stand er zwar ohne Blessuren, aber „gut gedüngt“ vor dem versammelten Publikum, das sich vor Lachen kaum noch halten konnte. Hinrichs wurde zur Erheiterung aller mit dem Gartenschlauch abgespritzt und bekam frische Kleidung verpasst. Diese Vorführung war dennoch ein großer Erfolg, denn der Bekanntheitsgrad von Hinrichs, Endres und dem Unimog stieg schlagartig – solch eine Geschichte spricht sich natürlich schnell herum.

Auf der „Grünen Woche“ 1956: der „Klaus Polypgreifer“ von Josef Preiss in Berlin-Frohnau.

 

1956: Ein ungewollter Geschwindigkeitsrekord

Eines der Mittel, die Leistungsfähigkeit des Unimog unter Beweis zu stellen, waren praktische Vorführungen im Betriebsalltag der Interessenten. In einem solchen Falle sollten zwei Anhänger, mit denen flüssiger Asphalt transportiert wurde, quer durch Berlin von Rudow nach Wannsee gebracht werden. Unter heutigen Bedingungen würde dieser Transport zu einer Verkehrsmeldung in den Nachrichten führen, denn solch ein Gespann benötigt zwei Ampelphasen zur Querung einer großen Kreuzung. Diese „Teerkocher“ waren im Straßenbild häufig hinter einem Unimog zu sehen und wirkten aufgrund des rauchenden Schlotes, des ratternden Dieselmotors und der schwarzen Teerhaut wie kleine Dampfloks auf Gummireifen. Mit den aus heutiger Sicht mageren 25 PS des Unimog in den 50er-Jahren musste gut gehaushaltet werden, was im Klartext hieß, ständig mit Vollgas zu fahren und jedes Gefälle auszunutzen, damit man mal die 50-Stundenkilometer-Schallmauer brechen konnte.

Auf der Rückfahrt vom Abladeort in Wannsee bot sich die Gelegenheit zu einer „Hochgeschwindigkeitsfahrt“, denn die Königstraße ist kerzengerade und stark abschüssig. Das damals im Vergleich zu heute recht geringe Verkehrsaufkommen und fehlende Ampeln veranlassten Meister Hinrichs, vor den Augen des Beifahrers eine gute Zeit herauszufahren. Trotz des laut Hinrichs „saumäßigen“ Zustandes der Straße wurde eine Geschwindigkeit gefahren, die den besorgten Beifahrer veranlasste, den Enthusiasmus von Hinrichs zu bremsen, denn er fürchtete um die sensible Schamotte-Auskleidung der Teerkocher. Die bretthart gefederten leeren Anhänger hüpften unglücklicherweise lustig hinter dem Unimog hin und her.

Siedend heiß fiel Hinrichs ein, dass er beim Wechseln der Anhänger nicht kontrolliert hatte, ob die Bremskraftregler der Anhänger von „ungebremst“ auf „Leerfahrt“ umgestellt worden waren! Als er dies mit großem Schrecken bemerkte, lenkte er das Gespann geistesgegenwärtig auf einen Radweg und konnte auf einen im spitzen Winkel abzweigenden Waldweg fahren. Dieser führte glücklicherweise bergauf, ähnlich einer Notbremsgasse in den Alpen. So kamen der Unimog und die Teerkocher unbeschadet zum Stehen. Mit zittriger Hand wurde erst einmal eine Beruhigungszigarette angesteckt, bevor die Unversehrtheit des Materials festgestellt werden konnte. Trotz dieses Schreckens konnte der spätere Kunde Köhler überzeugt und mehrfach in die Käuferliste von Endres eingetragen werden.

 

1956: Firma Krüger Fuhrbetrieb, Berlin-Spandau, Aufnahme zeigt die Kaiserin-Augusta-Allee, Klammt-Gebäude (Horn & Görwitz).

1957: Die Schlange hinter dem Unimog

Der Pflug am 25-PS-Unimog ist uns aus zahlreichen historischen Fotos bekannt. In den Großstädten gab es Schrebergartenkolonien, so auch in Berlin: Hier werkelten die „Laubenpieper“. Auf so einem Laubenpiepergelände, das für eine bevorstehende Bebauung bereits teilweise geräumt war, sollten die Vorzüge des Unimog beim Pflügen vorgeführt werden. Anwesend waren die Herren Endres und Kittel, Letzterer Inhaber eines Landschaftsbaubetriebes.

Ein Unimog mit Zweischarpflug am Luftkraftheber war extra von einem Kunden für die Vorführung ausgeliehen worden. Ob der Eigentümer des Geländes nur die Arbeit gemacht haben wollte oder wirklich Kaufabsichten hegte, ist im Nachhinein nicht mehr zu klären, jedenfalls stand eine Menge Arbeit an. Hinrichs hatte bis dahin erst ein einziges Mal gepflügt. Seine Bedenken, dass er nur wenig Erfahrung damit habe, wischte Hans-Henning Endres vom Tisch: „Mach mal, das wird schon klappen!“ Als der Unimog schwer unter Last stand und der Vortrieb nachließ, rief Herr Endres: „Fahr weiter, fahr weiter!“ Aber trotz des Ansporns „Allrad und Sperren rein!“ wollte es nicht so richtig vorwärtsgehen.

Der Unimog zerrte am Pflug, bis wirklich nichts mehr ging. Die Experten staunten und Hinrichs wunderte sich ebenfalls, denn so schwer konnte kein Boden in Berlin sein. Des Rätsels Lösung war ein verborgenes Wasserrohr im Erdreich, das eine Schar des Pfluges erwischt hatte und welches der Unimog nun wie eine Schlange über zig Meter hinter sich herzog. Dieses unerwartete Geschehen überzeugte Kittel, denn wenn der Unimog beim Pflügen selbst noch eine Wasserleitung herausreißen konnte, war das ein hervorragender Beweis seiner immensen Zugkraft. Somit wurde auch der Gartenbaubetrieb Kittel in die Käuferliste der Firma Endres eingetragen.

 

1958: Der Unimog, dem einen zu laut, dem anderen zu leise

Dass Unimog, Lkws und Arbeitsmaschinen allgemein nicht zu den Leisetretern zählen, ist bekannt. Dass aber heute die Lärmbelastung pro Fahrzeug viel geringer ist als früher, wird hierbei schnell vergessen, da die schiere Masse an Fahrzeugen die Fortschritte in der Geräuschbekämpfung für den Laien nicht erkennbar macht. In den 1950er-Jahren war ein Kraftfahrer eben noch ein echter „Kraft-Fahrer“. Er brauchte zum Lenken, Bremsen und Kuppeln wirklich noch Körperkraft, vom Be- und Entladen ganz zu schweigen. Man musste also hart im Nehmen sein, wenn man täglich hinter dem Lenkrad saß – und sollte zudem besser besonders dicke Trommelfelle besitzen. Der Spruch, dass der Beruf des Fernfahrers der schönste der Welt sei, weil man den ganzen Tag vorm Bett sitze und aus dem Fenster schaue, stimmt also nicht, besonders nicht in Bezug auf die damalige Zeit.

Es gab bestimmt noch einiges zu verbessern – das dachte sich auch ein Fahrer der Spedition Hamacher. Er kam eines Tages auf Gerhard Hinrichs zu und fragte, ob denn der Unimog nicht irgendwie ein bisschen leiser sein könnte, der Motor sei so laut, da fallen einem ja die Ohren ab! Hinrichs ging darauf ein und veränderte den Beginn und die Länge des Einspritzvorgangs in der Einspritzpumpe, damit die Verbrennung nicht mehr so schlagartig erfolgte und der Klang weniger hart wurde. Eine Rechnung durfte nicht gestellt werden, sonst hätte ja der Fuhrparkchef, Herr Nagel, Wind von der Sache bekommen. Gesagt, getan – der Unimog war nun etwas leiser und der Fahrer zeigte sich zufrieden.

Allerdings bemerkte nun Herr Nagel, dass der Unimog, wenn er an seiner Loge vorbei vom Hof fuhr, irgendwie seinen charakteristischen Klang verloren hatte. Da für ihn dieser typische Sound zum Unimog gehörte, machte er sich Sorgen um den Motor und sprach Hinrichs an, was denn da wohl los sein könnte. Dieser beruhigte ihn, dass das ganz normal sei: Im Laufe der Zeit ändere sich das Motorgeräusch. Vom heimlichen Geräusch-Tuning war natürlich keine Rede. Egal wie, es soll so klingen wie früher, verlangte Herr Nagel und beauftragte die Werkstatt, den Motor entsprechend einzustellen. Der Vorteil war, dass jetzt beide Arbeiten in Rechnung gestellt werden konnten. Ob dem Fahrer dann tatsächlich die Ohren abfielen oder ob er die Lust am Unimog-Fahren gleich ganz verloren hat, ist nicht überliefert.

1958: Auf der Abbildung zu sehen: Harry W. Hamacher, Spediteur, Berlin NW 40 (Lehrter Bahnhof), Paulstraße 20b.

 

Erzählt von: Gerhard Hinrichs,

Gezeichnet von: Dirk Meissner,

Copyright für Text: Christopher Lehmann, 2014
(Texte wurden für diese Webseite leicht überarbeitet)

Copyright für Fotos und Cartoons: Hans-Rüdiger Endres, 2014

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