Rede anlässlich der Feier zum 75. Geburtstag von Hans-Rüdiger Endres am 22. Januar 2022
Ich möchte euch jetzt alle auf eine Zugfahrt durch mein Leben mitnehmen:
Eine Zugfahrt mit vielen Haltestellen und Wartezeiten. Mit vielen Begrüßungen und Abschieden. Mit Freud und Leid.
Auf dieser Fahrt sind viele Passagierinnen und Passagiere eingestiegen und auch wieder ausgestiegen.
Manche haben durch ihren Ausstieg eine große Leere hinterlassen.
Bei anderen habe ich gar nicht gemerkt, dass sie nicht mehr mit mir im Zug sitzen.
Meine Zugfahrt begann genau heute vor 75 Jahren am 22. Januar 1947 im Krankenhaus von Berlin-Hermsdorf. Meine Eltern haben mich dort in Empfang genommen.
Als kleines Kind habe ich mir gewünscht, dass meine Eltern für immer mit mir reisen werden. Später wusste ich, dass sie an einer bestimmten Haltestelle aussteigen werden und ich meine Reise leider ohne sie fortsetzen muss.
Zurückblickend bin ich mir heute sehr bewusst, dass ich schon zur Geburt ein doppeltes Glück hatte:
Erstens, dass ich nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde und wir in Deutschland nun schon eine friedliche Zeit erleben durften. Meine Eltern mussten hingegen zwei Weltkriege überleben.
Als weiteren Glücksfall empfinde ich, dass mein Elternhaus im Westteil von Berlin stand und nicht zwei Kilometer weiter in der sowjetisch besetzten Zone.
Meine jüngere Schwester Angelika ist am 14. Mai 1949 in den Zug eingestiegen. Wir beide haben in unserem Leben viel Zeit gemeinsam verbracht, besonders im geschäftlichen Bereich.
Mein erstes Lebensjahrzehnt habe ich in sehr glücklicher Erinnerung.
1953: Einschulung von Hans-Rüdiger Endres, daneben seine Schwester Angelika. Sie stehen vor dem ersten Vorführfahrzeug von Hans-Henning Endres, einem Unimog U 2010.
Im Jahr 1957, im Alter von 10 Jahren, musste ich erstmals an einer Haltestelle umsteigen.
Ich wechselte die Schule und kam in das Internat Königin Luise-Stiftung in Berlin-Dahlem. Dort lernte ich unter anderem Helmut Zühlke kennen, der heute Abend am Tisch bei meiner Schwester sitzt.
Ich war acht Jahre in diesem Internat und beendete meine Schulzeit dort 1964.
Im selben Jahr begann meine Berufsausbildung als Kfz-Schlosser bei der Daimler-Benz AG im Werk Marienfelde.
In der Mercedes-Benz Niederlassung lernte ich 1966 Hans-Joachim Dombrowski kennen.
Er ist heute mein Schwager, und für meine Schwester und mich war er Mitgesellschafter in einer unserer Firmen.
Hans-Joachim und ich sind seit vielen Jahrzehnten in einer Wandergruppe, zu der unter anderem auch Georg Tilgner gehört, der auch an diesem Tisch sitzt.
1967, als ich 20 Jahre jung war, begann mein drittes Lebensjahrzehnt.
In diesem Jahrzehnt ging es mit meiner Berufsausbildung weiter.
Mein Zug fuhr in den schönen Schwarzwald.
Dort in Calw besuchte ich die Bundesfachschule für Betriebswirtschaft.
In dieser tollen Zeit habe ich Kurt Brockmann aus Hamburg und Rolf Röttger aus Hannover kennengelernt. Mit beiden entstand eine Freundschaft, die bis heute hält.
1968 fuhr mein Zug zurück nach Berlin, und ich habe dort auf der Wirtschaftsakademie sechs Semester studiert und das Studium erfolgreich abgeschlossen.
Mit dem Besuch der Meisterschule und der Meisterprüfung im Kfz-Handwerk habe ich schließlich 1973 meine Berufsausbildung abgerundet.
1977, mit mittlerweile 30 Jahren, war ich in der elterlichen Firma tätig.
Im Zug meines Lebens saß ich wieder mit meinen Eltern und meiner jüngeren Schwester zusammen.
Auf dem Endres-Betriebsgelände (v. l. n. r.):
1980 heiratete ich zum ersten Mal. Ab 1982 gehört mein Sohn Manuel mit zu meinem Leben.
1987, als ich 40 Jahre alt war, verließ mein Vater den Zug meines Lebens für immer.
1989 passierte in Berlin etwas, was kaum einer vorhergesehen hat.
Die Berliner Mauer öffnete sich und ich erlebte Weltgeschichte direkt vor Ort.
Hier in Berlin fand die Wiedervereinigung unmittelbar statt und in der Stadt herrschte eine unvorstellbare Stimmung.
Die Deutsche Einheit 1990 ist wahrscheinlich in meinem ganzen Leben der größte Glücksfall. Ich war zu dieser Zeit im besten Lebensalter.
Mein Zug stand am Berliner Hauptbahnhof. Ich bin umgestiegen und durfte mir neue Reiseziele aussuchen. Mir eröffneten sich Perspektiven, die ich mir vorher nicht im Entferntesten erträumt hätte.
Ein Zitat von John F. Kennedy nahm ich mir zu Herzen:
Wann, wenn nicht jetzt?
Wo, wenn nicht hier?
Wer, wenn nicht wir?
Das Foto entstand am 10. November 1989 um etwa 1:00 Uhr nachts mit Blick in Richtung Ost-Berlin und auf die Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor. Ich selbst stehe im dunkelgrünen Mantel oben auf der Mauer (vierter von rechts).
1994 verließ auch meine Mutter den Zug meines Lebens und folgte damit meinem Vater.
1997 wurde ich 50 Jahre alt. Dieser Geburtstag war kein Höhepunkt in meinem Leben, ganz im Gegenteil:
Meine erste Frau verließ mich, zusammen mit unserem damals 14-jährigen Sohn. Ich war dadurch in unserem Haus erstmal allein.
Zum Jahreswechsel 1997/1998 bin ich mit meinem Sohn Manuel mit dem Zug in die Schweiz gefahren.
An dieser Haltestelle des Robinson Club traf ich auf den Kommissar Zufall.
Dieser Zufall wollte es, dass zur gleichen Zeit auch Brigitte mit ihrer Tochter Rebecca dort Winterurlaub machte.
Unsere Kennenlerngeschichte besteht aus einer ganzen Reihe von Zufällen:
Unter anderem wurden wir in dieselbe Skigruppe eingeteilt. Und kaum zu glauben: Wir sind heute noch mit einigen Menschen dieser Skigruppe befreundet. Davon sind heute hier:
Unser Trauzeuge Carsten mit Sylvia aus Mecklenburg-Vorpommern sowie Gisela und Axel aus Bad Oeynhausen.
Seit unserer Hochzeit am 28. Dezember 1999 sitzt Brigitte im Zug meines Lebens an meiner Seite. Darüber bin ich sehr glücklich und dankbar.
Durch unsere Heirat gehören ihre beiden Töchter Raphaela und Rebecca mit zu meiner Familie. Ihre Ehemänner, unsere Schwiegersöhne Sven und Sebastian, sitzen auch häufig mit in unserem Zugabteil.
Brigitte ist im Jahr 2004 in den Lions Club Berlin-Glienicker-Brücke eingetreten. Dadurch haben wir einen neuen Kreis an Freundinnen und Freunden gewonnen, die für uns heute wichtige Wegbegleiter sind.
Im Jahr 2014 hat mein Sohn Manuel geheiratet und somit ist damals unsere Schwiegertochter Tina in unseren Zug eingestiegen.
Für Brigitte und mich ist das Familienglück durch die Geburt von mittlerweile fünf Enkelkindern perfekt:
Emma kam 1999 auf die Welt, kurz bevor Brigitte und ich geheiratet haben.
Luisa wurde 2002 geboren und ihre Schwester Cosma folgte im Jahr 2004.
Julia erblickte 2015 und ihr kleiner Bruder Milo 2019 das Licht der Welt.
Hier im Raum sitzen noch mehr Freundinnen und Freunde von mir, die auf meiner langjährigen Reise irgendwann in den Zug meines Lebens eingestiegen und bei mir sitzengeblieben sind.
Ich hoffe, dass unsere Freundschaft trotz teilweiser großer räumlicher Entfernung noch viele, viele Jahre anhalten wird. Ich will auf jeden Fall den Kontakt zu euch weiterhin pflegen!
Und ich bin sehr gespannt, wohin uns unsere gemeinsame Fahrt noch führen wird und welche Stationen und Reiseziele sie mit sich bringt. Denn niemand von uns weiß heute schon, an welcher Haltestelle er oder sie aussteigen muss und wann der eigene Sitzplatz für immer leer bleiben wird.
Ich empfehle euch darum, jeden einzelnen Tag dieser Reise des Lebens zu genießen:
Carpe diem!
Zusammen mit meiner Frau genieße ich regelmäßig diesen wunderschönen Ausblick und die vier Jahreszeiten in unserem zweiten Domizil in Südtirol.
Wir sind sehr glücklich und zufrieden – vor allem auch, weil wir beide gesund sind.